Texas-Tagebuch Teil 36, revisited (von 2002)

Ich habe den schwarzen Feuerwehrmann befördert. – Don’t call me white. Ihr widert mich an.

Dank einer Fallstudie zur Chancengleichheit im US-amerikanischen System wurde mein Human Resource Management-Kurs, bei dem ich normalerweise gegen 8.20 Uhr bereits sabbernd in der zweiten Reihe wegpenne, mal richtig interessant. Es ging darum, sich zwischen einem weißen und einem schwarzen Kandidaten zu entscheiden, wobei das Fire Department aufgrund einer früheren, diskriminierenden Einstellungspolitik eine Minderheiten-Auflage beachten muss.

„So, who of you chose the black guy?“, fragt der Professor. Ich schaue mich um. Außer mir meldet sich nur der Schwarze, der ganz außen in meiner Reihe sitzt.

Als ich meine Entscheidung begründe – von wegen, man könne die beiden nicht vergleichen, da der schwarze Feuerwehrmann nie die gleichen Chancen hatte, das Department überhaupt erst seit zwölf Jahren Schwarze einstellt, blabla – da wird meine Sitznachbarin plötzlich pampig.

Sie ist so eine weiße Mama in Blümchen-Kombi und Buntledersandalen, die sich für eine Karrierefrau hält und bei jeder Gelegenheit aus ihrem verfickten Arbeitsleben berichten muss. Sie meint, alle Equal Employment Opportunity-Auflagen seien Dreck und diskriminierten Weiße. Amerika sei auf Dauer nicht konkurrenzfähig, wenn bei derlei Entscheidungen immer auf die dummen Behinderten und die noch blöderen Schwarzen Rücksicht genommen werden müsse. Das sagt sie natürlich nicht, dazu ist sie viel zu feige, aber jedes ihrer gesingsangten Worte stinkt.

Ich schlucke. Ich schnaufe. Mein Ungerechtigkeitsbewusstsein ist so stark, dass ich aufstehen möchte und sie rütteln.

Wie kann es sein, dass diese Leute in Amerika aufwachsen, zur Schule gehen, arbeiten, dass sie die Diskriminierung allerorten miterleben, praktizieren sogar – und dann von der Benachteiligung der Weißen sprechen?

Der schnurrbärtige Pseudo-Cowboy meldet sich zu Wort. Es sei nicht richtig, dass man heute, immerhin knapp 40 Jahre nachdem der Civil Rights Act erlassen wurde, immer noch für die Sünden älterer Generationen büßen müsse. Das sei „nicht fair“. Das müsse doch auch mal irgendwann gegessen sein.

Ich beginne, zu verstehen: Sie wollen es nicht verstehen. Dass jahrhundertelange Benachteiligung nicht in zwei Generationen behoben werden kann. Dass sie selbst in den schicken Vorstadthäusern wohnen und ihre Kinder an die guten Unis schicken, nicht weil sie besser sind – ha! – und dass die Schwarzen auch nicht in den Ghettos leben und für alles Schlechte und Kriminelle verantwortlich sind, weil sich das so ergeben hat.

Sondern weil der Urgroßvater der selbstgefälligen Hassschleuder meinte, er sei was Besseres. Und wenn sie glaubt, dass sie mit dieser Verantwortung nichts zu tun hat, wenn sie das ernsthaft von sich weisen will und stattdessen von Weißen-Diskriminierung redet, dann zeugt das von einer derart bodenlosen Gedankenlosigkeit und Frechheit und Geschmacklosigkeit, dass ich mich schäme, dass sie die gleiche Hautfarbe hat wie ich.

Und ich bin so erleichtert, so schrecklich erleichtert, als sich mein schwarzer Kommilitone  meldet und mit ganz ruhiger Stimme sagt: „Success breeds success. It may take a while, but we are on our way. There are Black neighborhoods with nice cars and children who go to Ivy League Schools, and their children will have the chance to do the same. But we need to get our time to get there.“

Und die Blümchen-Frau verzieht ganz leicht ihren Mund, ganz leicht, weil ihr der Gedanke nicht schmeckt, die Vorstellung ihr Angst macht, ein Ziehen unter ihrer weißen Bauchdecke verursacht, aber sie sagt nichts mehr. Und mein (weißer) Lehrer nickt und sagt „You are right“.

Beim Rausgehen lächeln wir uns zu wie immer, der Typ vom Ende der Reihe und ich, und ich beneide ihn um seinen Stolz, seine Würde, seine Vorfahren und seine wunderschöne Haut.

#blacklivesmatter #georgefloyd